Sie haben das übliche Balkongarten-Brevet mit Tomaten, Radieschen, Schnittsalat sowie Schnittlauch und Petersilie erfolgreich bestanden? Die Erfahrung, dass man in eine Gemüsekiste von 40x60cm nicht einen Kürbis, vier Fenchelsetzlinge, zwei Tomatenpflanzen und noch etwas Schnittsalat gleichzeitig setzen sollte, haben Sie hinter sich? Sie wissen auch, dass man mit 4m2 Balkon nicht Selbstversorgung betreiben kann? Kurz, Sie entwickeln sich zum Urban Garding Profi und suchen eine neue Herausforderung? Falls ja, sind Sie hier richtig: Ich stelle ein paar eher ungewöhnliche Gemüsepflanzen vor, die ich erfolgreich auf dem Balkon gepflanzt habe. Da die Mengen eher bescheiden sind, die man auf einem Balkon anbauen kann, ziehe ich Pflanzen vor, die nicht nur essbar, sondern auch dekorativ sind. Oder die wie die Tomatillo von Bienen und Hummeln geliebt werden.
Minipaprika
Meine ersten zwei Minipaprika, eine mit roten und eine mit orangen Früchten, habe ich geschenkt bekommen. Seither ziehe ich sie aus den Samen der abgeernteten Schoten weiter und habe zwei oder drei Töpfe davon. Sie sind mein Lieblinge, weil sie ungeheuer produktiv sind und mit ihren leuchtenden Schoten einen fröhlichen Akzent setzen. Eine Pflanze in einem 20cm hohen Topf wird kaum 50 cm gross und liefert trotzdem pro Saison 10 bis 20 fingerlange Schoten. Minipaprika sind robuster als Tomaten, sie benötigen keinen regengeschützten Platz und sie nehmen nicht so viel Platz weg.
Wer sie nicht kaufen will – sie sind meist recht teuer – zieht sie selbst. Wie normale Paprika-Pflanzen, Chilis oder Tomaten sät man sie am besten Ende März auf der Fensterbank oder in einer Anzuchtstation. Erst nach den letzten Frösten, also ab Mitte Mai, setzt man je eine Pflanze in einen Topf mit ca. 20 cm Höhe und stellt sie nach draussen. Während der ersten Tage sollten sie nicht in direkter Sonne stehen, denn im Haus gezogene Pflanzen neigen ohne allmähliche Gewöhnung zu Sonnenbrand wie Menschen auch.
Ähriger Erdbeerspinat
Erdbeerspinat (Chenopodium foliosum) ist mit Erdbeeren gar nicht verwandt, sondern wie guter Heinrich oder der unten vorgestellte Baumspinat eine Chenopodium-Art. Den Namen hat er von seinen erdbeerförmigen Beeren. Die Pflanze wurde vermutlich nach 1600 von Amerika nach Europa gebracht und als Spinat oder roh als Salatbeigabe verwendet. Mit dem Aufkommen des echten Spinat verschwand der Erdbeerspinat aber bis 1900 fast vollständig als Nutzpflanze. Einzig als dekorative Pflanze konnte er sich dank seiner auffälligen knallroten Beeren halten. Die Beeren sind übrigens essbar, schmecken aber nicht besonders. Heute erlebt Erdbeerspinat wie andere Chenopodium-Arten dank Urban Gardening und Wiederentdeckung alter Gemüsesorten ein Revival.
Erdbeerspinat habe ich schon mehr als eine Saison angebaut. Gegessen haben wir nicht sehr viel davon, denn grössere Mengen zu pflücken macht viel Arbeit, weil die Blätter relativ klein sind. Und geschmacklich sticht er nicht so hervor, dass ich ihn unbedingt haben müsste, kein Vergleich mit Rucola! Aber als Zierpflanze ist er wirklich hübsch. Er versamt sich selbst und der Pflegeaufwand ist abgesehen vom regelmässigen Giessen bescheiden.
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Winterportulak und anderes Wintergemüse
Wenn Sie keine Lust haben, all die Töpfe im Winter zu leeren, dann probieren Sie es doch einmal mit dem Winteranbau. Gemüse wie Lauch, Nüsslersalat, Spinat, Asia-Salate oder der hier vorgestellte Winterportulak lassen sich nicht nur im Garten, sondern auch auf dem Balkon im Winter anbauen, wenn mann die Geduld für die um ein mehrfaches verlängerte Wartezeit bis zur Ernte aufbringt. Wenn die Tageslänge unter 10 Stunden fällt, stellen nämlich die meisten Pflanzen ihr Wachstum ein, während die Kälte geeigneten Arten und Sorten viel weniger ausmacht. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken, denn wenn die Pflanzen nicht wachsen, benötigen sie auch keine Pflege. Mit den richtigen Pflanzen ist Wintergärtnern ideal für faule Gärtner/innen.
Tomatillo
Auf die Suche nach Tomatillo (Physalis philadelphica oder Physalis ixocarpa) machte ich mich, nachdem ich mit Andenbeeren schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Tomatillo haben eine kürzere Vegetationszeit als Andenbeeren, so dass auch in Mitteleuropa die Chance besteht, dass sie bis im Herbst ausreifen. Ich hatte zwei gekaufte Pflanzen in einer Kiste, weil eine Quelle angab, dass Tomatillo keine Selbstbestäuber sind. Bis heute bin ich nicht sicher, ob das wirklich stimmt, denn andere Quellen behaupten das Gegenteil. Ich neige eher zur Selbstbestäubungstheorie, denn meine zwei Pflanzen hatte ich im Abstand von fast drei Wochen gekauft. Als die erste Tomatillo Früchte ansetzte, war die zweite noch so klein, dass ich eine Fremdbestäubung für eher unwahrscheinlich halte.
Wer sich eine Tomatillo-Pflanze zulegen möchte, kauft sich am besten an einem Pro-Specie-Rara-Markt einen Setzling (oder eben zwei). Sie mögen an einem sonnigen, windgeschützten Platz am Boden, z.B. in einer Gemüsekiste, und sollten gegen oben Platz haben, denn mit genügend Erde werden sie über einen Meter hoch. Sobald sie etwas höher sind, sollte man sie aufbinden, denn sie brechen leicht. Ansonsten sind sie unproblematisch: Weder Blattläuse noch andere Schädlinge konnten ihr etwas anhaben und gedüngt habe ich sie abgesehen von gelegentlichen Milchwassergaben auch nie.
Walderdbeeren
Meine Walderdbeeren sind gewissermassen Selbstläufer. Seit ich die allerersten Pflänzchen aus einer aus dem Wald mitgebrachten und getrockneten Erdbeere gezogen habe, sind sie jedes Jahr da und erfreuen mit kleinen, aber aromatischen Früchten. Der Ertrag ist zwar aufgrund der Kleinheit der Früchte bescheiden, aber die Erntezeit ist länger als bei konventionellen Erdbeeren. Walderdbeeren sind winterfest, extrem robust und pflegeleicht. Sie vermehren sich mit Ablegern selbst. Der einzige Aufwand besteht darin, sie daran zu hindern, alle benachbarten Töpfe zu besiedeln, und gelegentlich verwelktes Laub zu entfernen (mehr aus optischen Gründen, notwendig ist das nicht). Sie eignen sich auch hervorragend als Bodendecker für grössere Pflanzen.
Alte Tomatensorten
Nichts gegen Tomaten, ich baue jedes Jahr auf dem Balkon und im Büro mehr als ein halbes Dutzend verschiedene Tomatensorten an, Cherry und andere. Aber natürlich nicht die rote Standard-Cherrytomate aus dem Supermarkt, sondern ungewöhnliche Sorten, die von Pro Specie Rara, aus Samentauschbörsen, von anderen Tomaten-Aficionados oder von spezialisierten Samenherstellern wie Sativa oder Artha stammen.
Allmählich erhält man ja auch in hiesigen Supermärkten oder auf dem Markt ungewöhnliche Tomaten und Cherrytomaten. Mein Geheimtipp: Von Tomaten, die besonders gut schmecken oder besonders originell aussehen, ein paar Samen auf Küchenpapier trocken und in der nächsten Saison daraus neue Pflanzen ziehen. Das klappt fast immer (es sei denn, Sie hätten eine Hybrid-Tomate erwischt, die sind nicht sortenrein).
Ein Geheimtipp fürs Urban Gardening an öffentlichen und somit von Langfingern bedrohten Plätzen ist Aunt Ruby German Green. Es handelt sich dabei um eine Fleischtomate, die wie der Name schon sagt, grosse grüne Früchte mit einem wunderbaren, zitronig frischen Aroma produziert. Während meine Mitgärtner/innen im Breitenrain immer wieder mal den Verlust einer lang gehätschelten Tomate, Gurke oder Aubergine beklagten, blieben meine Tomaten bis zur Reife hängen, da potenzielle Diebe sie wegen der grünen Farbe als unreif und somit uninteressant qualifizierten.
Kräuter
Urban Gardener fangen ja oft mit Kräutern an, weil man damit auch auf einem Balkon selbst für einen Mehrpersonenhaushalt ausreichende Mengen produzieren kann. Basilikum, Lavendel, Petersilie, Schnittlauch, Salbei, Thymian und einiges mehr verkauft ja inzwischen jede Migros- und Coopfiliale.
Stevia
Wenn Sie irgendwo eine Stevia-Pflanze angeboten bekommen, schlagen Sie zu. Diese Pflanze ist nämlich nur schwer erhältlich. Und vom Versuch, Stevia aus Samen zu ziehen, rate ich ab. Der Samen ist nicht sehr lange haltbar und die Keimung und Anzucht gelingt fast nur im kontrollierten feuchtwarmen Klima eines Treibhauses.
Stevia war ja als kalorienloser und zahnschonender natürlicher Zuckerersatz in den Schlagzeilen, weil Pflanze und Süssstoff in der EU jahrelang aus eher dubiosen Gründen verboten waren. Inzwischen wurd das Verbot aufgehoben und der Süssstoff Steviosid findet sich in Jogurt, Sirup und diversen anderen Nahrungsmitteln. Ich benutze die Stevia-Blätter frisch oder im Winter getrocknet v.a. als Zuckerersatz in Tee. Auf dem Balkon hält sie sich im Sommer bei Hitze und Nässe gut, sofern man sie regelmässig giesst und ihr anfangs Jahr ein bisschen Kompost unter die Erde mischt.
Der Winter ist allerdings eine andere Geschichte: Stevia ist nicht frosthart (auch nicht mit Winterschutz) und sollte im Winter hell, aber eher kühl stehen. Da ich einen solchen Raum nicht habe, kommt sie im Winter auf den Wohnzimmertisch, wo sie es zwar hell, aber eigentlich zu warm und zu trocken hat. Sie regelmässig mit einem Sprühgerät einzunebeln, hilft nicht wirklich. Spätestens im Februar hat sie Schildläuse und meist auch noch andere Schädlinge und sieht erbärmlich aus. Jedes Mal überlege ich, ob ich sie jetzt entsorge und gebe ihr dann doch wieder eine Chance. Sobald die Temperaturen über 5 Grad steigen und die Sonne scheint, kommt sie dann zumindest tagsüber auf den Balkon. Und in den letzten Jahren hat sie sich dann bis spätestens Juni wieder erholt. Dieses Jahr bin ich mir da allerdings nicht so sicher.
Roter Basilikum
Wenn schon Basilikum, dann versuchen Sie doch einmal, roten Basilikum aus Samen zu ziehen. Diese Sorte ist würziger als der grüne Basilikum und setzt mit ihren dunkelroten beziehungsweise fast violetten Blättern einen hübschen farblichen Akzent im Kräutergärtchen auf dem Fensterbrett. Allerdings braucht man Geduld: selbstgezogener Basilikum wächst dann, wenn die Natur das vorsieht: Er ist erst im Sommer erntereif und nicht Mitte April, wie es uns die Supermärkte mit ihren knallgrünen, im geheizten Treibhaus gezogenen Pflanzen vorgaukeln.
Curry-Kraut
Eine Kräuterpflanze, die man auch nicht so oft angeboten bekommt, ist Curry-Kraut (Helichrysum italicum). Den Namen hat die Pflanze wegen ihres Curryduftes, sie ist kein Bestandteil der scharfen Gewürzmischung, die man als Curry im Laden kauft. Curry-Kraut, auch italienische Strohblume genannt, zeichnet sich durch silbergraue, nadelförmige Blätter und gelbe Blüten aus. Auch dies ist ein hübscher Farbtupfer im grünen Kräuterbeet. Die Pflanze ist eigentlich mehrjährig, aber nur bedingt frosthart. Bei mir hat die Pflanze bis jetzt auf dem Fensterbrett in einem schmalen Plastikgefäss ohne jeden Winterschutz bereits zwei Jahre überlebt (eines davon mit einem langen und kalten Winter).
Das Curry-Kraut mag es, wie der lateinische Name mit „italicum“ verrät, gerne warm und trocken und verträgt gar keine Staunässe. Aber damit ist es in guter Gesellschaft, denn viele der gängigen Kräuterpflanzen wie Lavendel oder Basilikum stammen aus dem Mittelmeerraum und gedeihen in einem wärmeren Klima besser. Mein Currykraut ist äusserst genügsam, es wurd seit dem Erwerb nie gedüngt und nur einmal umgetopft. Es steht sonnig und wird wie Rosmarin oder Thymian nur mässig begossen. Das ganze Sommerhalbjahr über ernte ich die zarten Triebspitzen, beispielsweise als Beigabe zu Ratatouille oder zu gebratenem Fleisch.
The next generation
Allmählich werde ich zu einer Sammlerin von Exoten und Raritäten: Zur Zeit in der Versuchsphase befinden sich unter anderem das peruanische Wunderkraut Maca, das ich aus in Deutschland bezogenen Samen gezogen habe, oder der japanische Shiso, auch Perilla genannt. Gerade hat griechischer Bergtee einen neuen Topf bezogen. Und nach dem letztjährigen Fehlschlag starte ich einen neuen Versuch mit Cocktailgurken und Inkagurken, die beide eigentlich gar keine Gurken sind.
Viel Freude bereitet mir die Speisechrysantheme. Sie hat nur einen Fehler: Die Blüten sind so schön, dass ich mich nicht dazu überwinden kann, sie abzupflücken und aufzuessen.
Ungeliebt oder ungeeignet
Baumspinat
Eigentlich stand der Baumspinat, als ich mit dem Artikel begonnen habe, noch im oberen Teil. Leider habe ich ihn Ende letzter Saison versamen lassen und jetzt kämpfe ich gegen eine wahre Baumspinatplage. In allen Töpfen bin ich ständig am Entfernen von Keimlingen.
Eigentlich ist er gar nicht so schlimm. Er ist, wie der Name schon andeutet, essbar: Ich mische ihn gekocht mit normalem Spinat. Ganz junge Blätter kann man auch roh im Salat essen. Mit seinen magentafarbigen Blattherzen sieht er jung seht hübsch aus. Im Herbst sind die rötlich angehauchten Blätter eine Zierde. Robust und pflegeleicht sind für dieses Gewächs eine starke Untertreibung, Baumspinat ist trotz Hitze, Wassermangel, Regengüssen und Windböen quasi unzerstörbar. Und er ist auch äusserst ertragreich, vorausgesetzt man mag den Geschmack und die etwas rauhere Konsistenz. Aber diese Pflanze heisst nicht nur zufällig Baumspinat oder auf Lateinisch Chenopodium giganteum: Selbst mit nur ca. 15 cm Bodendicke wurde er bei mir 2.5 Meter hoch. Ihn deshalb wirklich die ganze Saison wachsen zu lassen empfiehlt sich nur, wenn Sie genug Platz haben. Besser ist es, die jungen Planzen komplett abzuernten. Wenn Sie ihn trotzdem stehen lassen, sorgen Sie dafür, dass er nicht absamt. Es sei denn, Sie möchten im nächsten Jahr nur noch Baumspinat anpflanzen und gleichzeitig Ihre Nachbarschaft in den unteren Balkonen auch noch mit dieser Pflanze beglücken.
Hirschhornsalat
Über dieses Pflänzchen spottet mein Kollege Pascal „Der zu recht vergessene Hirschhornsalat„. Eigentlich bringt das Gewächs, das kein Salat, sondern ein Wegerich ist (Plantago coronopus), alles mit sich, was eine faule Balkongärtnerin sich wünschen kann: unglaublich robust und pflegeleicht, mehrjährig und frosthart. Ja, der Hirschhorn-Wegerich verträgt sogar leicht salzhaltige Böden! Böse (oder wohlinformierte) Zungen behaupten, dass es sich bei einer Pflanze mit solchen Eigenschaften eigentlich nur um ein Unkraut handeln kann. Hirschhornsalat hat einen einzigen, allerdings matchentscheidenden Nachteil: Ich mag seinen Geschmack nicht. Und auch Max konnte ich nicht überzeugen. Nachdem die Pflanze als kleingeschnittene Salatbeigabe mehrmals nur Nasenrümpfen geerntet hatte, musste sie die Pflanzenkiste wieder verlassen – gewissermassen „Big Brother“ im Balkongarten.
Andenbeere
An der Andenbeere (Physalis peruviana) habe ich eigentlich viel Freude gehabt. Mit ihren samtig behaarten Blättern und den dekorativen gelb-braunen Blüten ist sie eine Zierde. Auch die Hummeln und Bienen mögen sie. Als Nutzpflanze kann ich sie allerdings nicht empfehlen: Sie hat eine sehr lange Vegetationsperiode und die Chance, dass man in unseren Breitengraden auch nur einen Teil der Früchte im Freiland bis zur Reife bringt, ist gering. Auf jeden Fall sass ich trotz heissem Sommer im November mit zwei Andenbeeren-Pflanzen da, die noch voller und unreifer Früchte hingen. Nachreifen wie bei Tomaten geht nicht. Und als Zimmerpflanze eignet sie sich, wie ich mit meinem Überwinterungsversuch feststellen musste, auch nicht wirklich. Wer sich eine essbare Physalis-Art als Nutzpflanze halten möchte, dem empfehle ich die oben erwähnte Tomatillo oder für den Naschbalkon die Ananaskirsche.