Auch dieses Jahr herrschte auf meinem Balkon das Motto „Nutzpflanzen“. Und weil ich gern experimentiere, pflanzte ich nicht nur Stevia, Zuckererbsen, Tomaten, Chili und farbigen Mangold wie im vorigen Jahr, sondern wagte mich auch an Exotischeres wie Tomatillo, eine Asia-Salat-Mischung sowie ährigen Erdbeer- und Baumspinat. Belohnt wurde ich nicht nur mit einem Balkon, auf dem es immer wieder etwas neues zum Naschen gab, sondern neben den neuen Geschmackserfahrungen auch mit Pflanzen, die nicht nur essbar, sondern auch schön waren.
Vor allem der Erdbeerspinat (Chenopodium capitatum) sieht prächtig aus, wenn er seine knallroten Beeren trägt. Diese kann man übrigens essen, aber sie schmecken nicht besonders. Und wenn sie runterfallen, dann sollte man zumindest auf einem Balkon nicht darauf treten, wenn man keine intensiv roten Flecken auf dem Balkonboden möchte. Genutzt werden von dieser Pflanze, die wie der gute Heinrich, der Baumspinat und der Amaranth zu den Fuchsschwanzgewächsen gehört, die Blätter, und zwar roh im Salat oder gekocht als Spinat. Man tut übrigens gut daran, die Blätter zu ernten, bevor die Beeren erscheinen, denn sonst artet die Ernte in Arbeit aus. Den Erdbeerspinat habe ich übrigens selbst aus Samen gezogen, die ich als Gönnerin von Pro Specie Rara beziehen konnte.
Eine weitere Schönheit auf meinem Balkon war der Baumspinat (Chenopodium giganteum). Seine magentafarbenen Blattherzen hatten mich am Wildpflanzenmarkt auf dem Waisenhausplatz zum Kauf verführt. Erst zu Hause wurde mir bewusst, dass eine Pflanze, die „Baum“ im deutschen und „giganteum“ im lateinischen Namen trägt, möglicherweise für einen Balkon etwas gross werden könnte. Er hat es bis jetzt tatsächlich trotz einer absichtlich klein gewählten Schale geschafft, sich bis auf 2 Meter hochzuarbeiten. Die farbigen Blätter hat er mit zunehmender Grösse verloren. Den Baumspinat nutzt man wie den Erdbeerspinat, seinen engen Verwandten, indem man die Blätter roh in den Salat gibt oder als Spinat kocht. Und wie beim richtigen Spinat gilt, dass man einen riesigen Haufen Blätter ernten muss, um zuletzt ein bescheidenes Portiönchen Spinat auf dem Teller zu haben.
Als Zeichen dafür, dass es mir ernst ist mit dem Urban Gardening, hatte ich mir ja letztes Jahr schon eine kleine Anzuchtstation gekauft. Da sich keines unserer Fenster für die frühe Aufzucht von Pflanzen wirklich eignet, habe ich mir im Internet eine solche Station mit künstlichem Licht bestellt. Ab März zog ich hier vor allem Chili und Tomaten vor. Das war keine schlechte Idee, denn auch 2015 war ein schwieriges Gärtnerjahr, wo ein langer nassen Frühling überganglos in einen ungewöhnlich heissen und staubtrockenen Sommer überging. Die Hitze führte dazu, dass es selbst wärmeliebenden Pflanzen wie Chilis zu heiss war. Mein gelber Elefantenrüssel, eine Chili-Sorte von Pro Specie Rara, hat erst Ende August überhaupt Früchte angesetzt und jetzt, Mitte September, hängen über 20 grasgrüne Chilis an der kleinen Pflanze. Trotz des milden Herbstwetters habe ich wenig Hoffnung, dass sie noch reif werden. Beim roten Teufelchen, ebenfalls einer Chili-Sorte von Pro Specie Rara, hatte ich mehr Glück, dort konnte ich wenigstens schon 3 knallrote scharfe Schoten ernten.
Wegen der Bestäubung ist ein Miteinander von Blumen und Nutzpflanzen sinnvoll. Da ich meine Anstrengungen hauptsächlich auf das Gemüse verwandte, wucherten an Blumen vor allem in Mischkultur Tagetes und Kapuzinerkresse sowie zahlreiche pflegeleichte Wildblumen, die meinen Balkon schon vor Jahren erobert haben und sich selbst versamen: Kornblume, Venus-Frauenspiegel, Acker-Rittersporn und Löwenmäulchen. Und weil ich oft aus reiner Neugier wachsen lasse, was angeflogen kommt, bin ich zu einer Moschusmalve, zu einer kleinen Eiche und jetzt im Herbst zu essbarem Portulak gekommen.
Grosse Freude haben mir auch die Tomatillos (Physalis ixocarpa) bereitet. Diese gehören wie die Andenbeeren (Physalis peruviana) und die Ananaskirschen (Physalis pruinosa) zu den essbaren Physalis-Arten. Erst hatte ich mir am Wildpflanzenmarkt nur eine Pflanze gekauft. Da Physalis-Arten aber Fremdbestäuber sind, irrte ich im Mai so lange auf dem Pro-Specie-Rara-Markt in der Elfenau herum, bis ich tatsächlich eine zweite Tomatillo-Pflanze auftrieb. Lange sah es nach einem Misserfolg aus. Die zwei Pflanzen wucherten zwar wie verrückt, so dass der farbige Mangold und die Salatsetzlinge in der gleichen Kiste kaum mehr Licht bekamen, sie blühten auch, aber Früchte setzte keine der zwei an. Ich liess sie trotzdem stehen, denn die Hummeln liebten sie. Solange sie gelben Tomatillo-Blüten fanden, liessen sie alles andere auf meinem Balkon links liegen. Plötzlich im Spätsommer setzten beide Pflanzen Früchte an und das nicht zu knapp. Jetzt im September werden sie reif, so dass ich jeden Tag ein oder zwei der violett-grünen säuerlichen Früchte ernten kann. In Mexiko macht man damit Salsa verde, ein Bekannter hat mir geraten, sie in Öl kurz anzubraten, aber meistens esse ich sie gleich so. Im ersten Moment ist der säuerliche Geschmack gewöhnungsbedürftig, aber inzwischen mag ich sie richtig gern.
Neben diesen eher ungewöhnlichen Nutzpflanzen habe ich auch die Klassiker angebaut: eine gelbrot gestreifte Rundtomate, eine weissgelbe und eine rote Cherrytomate, zwei verschiedene Chili-Arten. Die braune Paprika-Sorte Sweet Chocolate lieferte nur eine einzige Frucht. Aus dem orangen Peperoni (für Nichtschweizer Gemüsepaprika), den ich aus Samen einer verspiesenen Peperoni gezogen habe, ist dagegen bis jetzt nichts geworden. Erst kürzlich hat sie noch zwei winzige Schoten angesetzt, aber die Chancen, dass diese ausreifen, ist noch geringer als beim gelben Chili. Vom Umwelt-Tag in unserem Quartier brachte ich zwei Mini-Paprikas zurück, eine mit roten und eine mit orangen Früchten.
Im Spätfrühling gab es als erstes Walderdbeeren. Auch relativ früh gab es dann die ersten Zuckererbsen. Auch mit verschiedenen Salaten habe ich erfolgreich experimentiert: Rucola, Lattich und eine Asia-Salat-Mischung. Es gäbe noch viel zu erzählen von diesem Gärtnerinnen-Sommer 2015, z.B. über den Kräutergarten vor dem Wohnzimmerfenster in umgedrehten Milchflaschen, über gehäkelte Erdbeertöpfe oder über das Urban-Gardening-Projekt „Hängende Gärten“, aber davon ein anderes Mal.
Zum Abschluss noch ein ungewöhnlicher Menüvorschlag: Basilikum ist zwar ein Klassiker, der inzwischen auf fast jedem städtischen Balkon oder Fenstbrett steht, aber manch einer macht die Erfahrung, dass Basilikum ziemlich anspruchsvoll ist und rasch eingeht, wenn es an Sonne oder Wasser mangelt oder wenn er zu dicht steht. Deshalb kann ich jedem als Alternative Kapuzinerkresse empfehlen: Sie hat einen interessanten, scharfen Geschmack, hat spektakuläre, leuchtende Blüten und lässt sich kinderleicht aus Samen ziehen. Ausserdem ist sie gut geeignet für die Mischkultur mit fast allen Gemüsepflanzen. Weshalb nicht einmal Tomaten mit Mozzarella und Kapuzinerkresse servieren, statt mit Basilikum?