Seit zwei Jahren ziehe ich jetzt (unter anderem) Wildblumen auf meinen sonnenexponierten Südbalkon. Einige davon sind gefährdete und geschützte Arten. Die Erfahrungen damit sind durchwegs positiv: Wildblumen sind meist krankheits- und schädlingsresistenter als gezüchtete Blumen. Und sie ertragen oft die Trockenheit viel besser. Einige, die noch vor ein paar Jahrzehnten als Unkraut galten, sind ausserdem äusserst genügsam und zäh. Viele sind einfach zu ziehen und säen sich an einem geeigneten Standort selbst wieder aus. Also die idealen Balkonpflanzen für Berufstätige, die nicht den ganzen Tag Zeit haben, ihre Geranien und Petunien zu giessen und auszuputzen. Und ausserdem fühle ich mich gleich als besserer Mensch, wenn ich ein paar geschützten Wildblumen auf meinem Balkon ein Mikrohabitat zur Verfügung stelle und damit die ökologische Vielfalt fördere. Dass es Puristen gibt, die das als Florenverfälschung beschimpfen, ist mir eigentlich egal.
Kritische Stimmen werden sich jetzt fragen, weshalb man nicht viel mehr Wildblumen sieht, wenn das doch eigentlich nur Vorteile hat. Ich denke das hat mehrere Gründe:
- Erstens stimmt es gar nicht, dass das kaum jemand macht. Seit ich selbst solche Pflanzen ziehe, fällt mir erst auf, wer in der näheren Umgebung ebenfalls Wildblumen zieht. Rittersporn (den wilden, d.h. Consolida regalis) und Kornblumen (Centaurea cyanus) findet man selbst in herausgeputzten Gärten. Und manchmal darf dazwischen sogar etwas Klatschmohn wuchern (Papaver rhoeas). In der Nachbarschaft, also mitten in der Stadt, steht gleich um die Ecke in einem Kübel eine riesige wilde Malve (Malva sylvestris). Karhäusernelken (Dianthus carthusianorum) sind in Steingärten sehr beliebt. Und bei den Akeleien (Aquilegia atrata, Aquilegia vulgaris) herrscht ohnehin ein Kuddelmuddel zwischen ausgewilderten Gartensorten und domestizierten Wildarten. Das gleiche dürfte bei den Vergissmeinnicht zutreffen (Myosotis-Arten).
- Zweitens mögen Wildblumen zwar zäh, dürreresistent und einfach zu ziehen sein, aber bezüglich Blütenpracht und Blütedauer können es die wenigstens einheimischen Wildblumen mit gezüchteten Arten aufnehmen. Die meisten wilden Arten sind eher kleinblütig und unscheinbar (meine Fotos in diesem Artikel zeigen zwar diese verborgene Pracht). Die gängigen Garten- und Kübelpflanzen werden dagegen seit Jahrzehnten genau auf diese verkaufsfördernden Eigenschaften hingezüchtet. Die natürliche Selektion hat da keine Chance.
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Drittens kommt man nicht so einfach zu Wildblumen. Man muss sie meist selbst aus Samen ziehen, sofern man an diese überhaupt herankommt (am Ende des Artikels zwei Links dazu). Geranien, Petunien, Tulpen und all die weiteren Garten-Stars hält uns dagegen jeder Supermarkt Woche für Woche unter die Nase. Und das meist zu einem Spottpreis (wenn man den Zeitaufwand rechnet, um selbst Blumen aus Samen oder Stecklingen zu ziehen). Zwar gibt es inzwischen hier in Bern einmal im Jahr einen von Pro-Specie-Rara organisierten Wildblumenmarkt. Und via Samentauschbörsen im Internet, z.B. Tauschgarten.de, kommt man an fast jeden Samen heran. Coop hat ausserdem seit seiner Wildblumenaktion ein paar Specie-Rara- und Wildblumensamen im Angebot. Und wenn man die Pflanzen einmal hat, kann man die meisten via eigene Samen weitervermehren (im Gegensatz zu manchen Gartenblumen, die als Hybridpflanzen steril sind). Mit etwas Geduld und Beobachtungsgabe kann man die Samen auch in der freien Natur sammeln. Aber man muss wirklich wollen.
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Viertens trauen sich viele nicht, weil sie nicht wissen, wie man diese Pflanzen pflanzt und pflegt. Man findet keine gebrauchsfertigen Samentütchen und bunte Gartenbücher mit klaren Anweisungen, wann eine Pflanze gesät wird, und wie oft man sie giessen und düngen soll. Aber wie oben bereits gesagt, sind Wildblumen meistens pflegeleicht und zäh. Man muss ja nicht gleich mit Pulsatilla alpina anfangen! Und Saatmonate sowie sonstige Pflegtipps findet man via Wikipedia und unzählige andere Foren und Webseiten bis zum Abwinken.
Was für Wildblumen habe ich denn nun? Hier nur ein paar Tipps auf die Schnelle, für einige meiner Lieblingsblumen sind bereits ausführliche Pflanzenportraits mit Pflegetipps vorhanden.
Für den Einstieg kann ich Acker-Rittersporn (Consolida regalis, Kulturanleitung) und Kornblumen (Centaurea cyanus, Kulturanleitung) empfehlen: Sie sind pflegeleicht und blühfreudig. Bei den Kornblumen verlängert man die Blühdauer, wenn man die verwelkten Blüten regelmässig abzupft. Und wenn man farblich einen Akzent setzen möchte, sät man noch etwas Klatschmohn (Papaver rhoeas, Kulturanleitung) in die Schale.
Auch die Kornrade (Agrostemma githago, Kulturanleitung) ist nicht schwierig zu ziehen. Allerdings wird sie für eine Balkonpflanze etwas hoch (bis zu 70 cm) und sie ist giftig und somit eher ungeeignet für Haushalte mit kleinen Kindern. Dass sie giftig ist, ist auch der Grund, weshalb die Kornrade in der freien Natur fast verschwunden ist: In Getreidefeldern war sie bis vor Kurzem ein unerwünschtes und unbedingt auszurottendes Unkraut. Heute gilt sie in der Schweiz ebenso wie in Deutschland als stark gefährdete Art.
Weitere gefährdete Arten sind auf meinem Balkon problemlos gewachsen: Färberkamille (Anthemis tinctoria, Kulturanleitung) und rauhe Nelke (Dianthus armeria, Kulturanleitung). Auch die filigranen lilanen Blüten des Venus-Frauenspiegels (Legousia speculum veneris, Kulturanleitung) erfreuen mich schon seit mehreren Wochen.
Die seltenste Art aber ist das Adonisröschen (Adonis aestivalis, Kulturanleitung). Diese wunderbare rot-schwarze Blume ist vom Aussterben bedroht. Gezogen habe ich meine Adonisröschen aus gekauften Samen. Zuerst habe ich für dieses Pflänzchen noch liebevoll ein Substrat aus Kies, Blumenerde und zerstossenen Eierschalen zusammengemischt, doch je mehr Stecklinge ich unterbringen musste, desto unsorgfältiger wurde ich: Der letzte Setzling musste sich mit einer abgeschnittenen Plastikflasche (mit Abzugslöchern im Boden) und gewöhnlicher Gartenerde begnügen. Und siehe da, auch dieser Setzling blüht inzwischen wunderbar.
Meine Erfahrung nach diesem Sommer ist, dass man zum Teil auch seltene Wildblumen unter ganz normalen Bedingungen und auf normaler Gartenerde ziehen kann, sofern man nur die Konkurrenz mit strenger Hand aus den Schalen entfernt. Solange Licht und Wasser vorhanden sind, ist die Bodenzusammensetzung eher nebensächlich.
Neben diesen eher seltenen und schützenswerten Pflanzen habe ich ausserdem ein paar ganz gewöhnliche Wildblumen gezogen, die man überall draussen häufig sieht, einfach, weil ich sie schön finde. Da ich Malven mag, habe ich schon das zweite Jahr zwei rosane Moschusmalven (Malva moschata, Kulturanleitung). Als mehrjährige Pflanzen wachsen sie ja jedes Jahr von selbst wieder.
Wie ich zu den Vergissmeinnicht gekommen, weiss ich nicht einmal, sie waren irgendwann einfach da (Myosotis, die genaue Art kann ich nicht bestimmen). Vielleicht war es der Wind, vielleicht steckten sie in irgendeiner Samentüte. Der Mauerpfeffer (Sedum acre), den ich neben einem Bahngeleise ausgebuddelt habe, enttäuscht mich allerdings. Er wuchert fröhlich vor sich hin, hat inzwischen schon den dritten Topf okkupiert. Aber von Blühen keine Spur! Auch bei der Akelei warte ich auf Blüten. Das ist aber normal, da ich diese mehrjährige Blume erst dieses Jahr gepflanzt habe. Nächstes Jahr sehe ich dann, ob es Aquilegia atrata oder Aquilegia vulgaris ist. Sogar eine Zaunwinde (Calystegia sepium) halte ich in einem Topf, obwohl sie der Schrecken aller Gartenbesitzer ist, weil man sie kaum mehr weg bringt, wenn sie sich einmal ausgebreitet hat. Jedes noch so kleine zerstückelte Wurzelstück schafft es anscheinend, wieder auszutreiben. Bis jetzt warte ich noch auf die weissen Blüten, möglicherweise sieht man die bei dieser mehrjährigen Staude auch erst vom zweiten Jahr an?
Ein paar Links, die mir bei meiner Wildblumenzucht weitergeholfen haben:
- ZDSF / CRSF ist eine ökologische Datenbank für Wildblumen in der Schweiz. Ich schlage hier die Zeigerwerte für die Wildblumen nach. Sie geben unter anderem Auskunft über Nährstoff-, Wasser- und Sonnenbedarf der Pflanzen.
- Tauschgarten.de ist eine Online-Samen- und Pflanzen-Tauschbörse. Hier bekommt man möglicherweise Wildblumen-Samen, die nur wenige kommerzielle Hersteller anbieten.
- Pflanzen-Vielfalt ist ein deutscher Online-Shop, bei dem ich meine Wildblumensamen bezogen habe
- The seed site ist einer meiner absoluten Lieblings-Sites: Ein Pflanzen-Fan hat hier in bewundernswerter Kleinarbeit Bilder von Samen, Samenkapseln und Setzlingen von Dutzenden von Pflanzen zusammengetragen. Das ist besonders nützlich, wenn die ersten Keimblätter aus dem Boden hervorschauen und man nicht sicher ist, ob irgendein dahergewehtes Unkraut schneller war als die liebevoll gehätschelten eigenen Samen.
- Und auf meiner eigenen Seite zum Keimverhalten von diversen Blumen und weiteren Pflanzen findet man natürlich auch Pflegeanleitungen für Wildblumen. Und eine weitere Seite enthält die Links zu allen Kulturanleitungen, nicht nur für Wildblumen, sondern auch für andere Arten.